Brain Box – Ideologie

2013      4 × 3,50 × 3,50 m      Gummibänder, Kordel, Folie und Gouache
Repräsentiert von Galerie Bo Bjerggaard auf der art berlin contemporary, Berlin

Ich habe versucht, den Weg von einer Idee zu einer Ideologie nachzuzeichnen. Der Begriff „Idee“ ist zuerst ein offener; wir benutzen Idee oft als Synonym für Einfall. Dinge oder Möglichkeiten fallen uns ein, d.h. sie scheinen von außen zu kommen, was ich dadurch betont habe, indem es eine Verbindung von Außen in diese „Brain Box“ gibt – hier zu sehen durch die Verspannungen, die von der Decke kommen oder zur Decke verlaufen. Der Hauptstrang führt zur Decke und fällt zurück in die Brain Box, er endet schließlich in einem Knoten. Die Idee verknotet sich zu einer Ideologie oder wird zu einem System, das einzelne Begriffe verbindet.
Wie wird eine Idee zur Ideologie, zu einem Gedankensystem? Wann und wodurch radikalisiert sich eine Idee? Wie ist das Gesellschaftliche mit dem Individuellen verbunden? Wann verfängt sich der Mensch in seinem eigenen Gedankenlabyrinth?

Die Brain Box zeigt den Weg einer Person, die auf Gesellschaft und Geschichte reagiert und sich positioniert. Es ist die räumliche Skizze einer Idee, die unter individuellen Bedingungen zu einer Ideologie, zu einem Lebensmodell werden kann.
In der Verspannung entsteht ein hierarchisches System, indem Biographisches zur Grundlage und Begleitung eines Gedankens wird. So werden – über die einzelnen Begriffe an der Wand – Fakten mit Fiktionen, Aktionen mit Reaktionen sowie Ereignisse mit Erfahrungen verbunden. Unterschiedlich starke Gummibänder stehen für unterschiedliche Verbindungen und zeichnen eine Entwicklung nach, die in der Radikalisierung tragisch endet.
Kultursymbole wie das Pentagramm dringen von Außen (über die Bänder) in den Gedankenprozess ein. Das Pentagramm gehört zu den komplexesten Zeichen: Es steht für den universellen Menschen; kehren wir das Motiv aber um, wie auf der rechten Wandseite, so symbolisiert es das Böse, ein Drudenfuß, dessen nach oben gekehrten Spitzen zu Hörnern werden. Auf dem Boden befindet sich der rot ausgefüllte 5-zackige Stern, ein Zeichen, dass sich zum Beispiel die RAF zum ideologischen Symbol ihres politischen Kampfes gewählt hat.
Die stärkste Verbindung, ein roter Strick, zeigt den Anfang, eine Idee, die in einer Verknotung endet und kaum mehr zu lösen ist und die Entwicklung einer Person unterbricht.
Dann ändert sich auch das Material: Ein nur 5 mm starkes Gummiband verbindet sechs Begriffe zu einem universellen Pentagramm, nämlich Erfahrung mit Ereignis, Traum mit Trauma sowie Fakt mit Fiktion.
Da die Installation begehbar ist, verändert sich das Pentagramm je nach Standpunkt des Betrachters. Er scheint sich mal auszudehnen und mal zusammenzuziehen, ohne jedoch seine Form zu verlieren. Die linke Seite zeigt über die Begriffe einen geschichtlichen Verlauf, während die rechte Seite die Reaktionen der Person stichwortartig benennt.
Deutlicher wird die Interaktion in der darunter liegenden, noch dünneren Verspannung: Begriffe wie Wahrheit und Wirklichkeit, Aktion und Reaktion, real und radikal sind deutlich verbunden. Der zentrale Begriff Macht gliedert sich weiterhin auf der rechten Wandseite in Mythos / Märtyrer / Moral / Manipulation / Machtlosigkeit auf.
Die nächste Ebene, mit 3mm Gummibandbandstärke, verspannt gesellschaftliche, politische Daten mit autobiographischen Reaktionen auf diese. So wird plötzlich ein Geschichtsverlauf deutlich, der die Voraussetzung für einen individuellen Lebenslauf ist.
Schließlich wird eine Person erkennbar, die auf (ihre) Zeitgeschichte reagiert. Dahinter steckt eine konkrete Person, eine Frau deren Biographie meine Grundlage war. Ich habe sie hier nicht namentlich genannt, damit die Situation ein Modell bleibt.
Die dünnste und zugleich fragilste Verbindung durch die Bänder zeigt den Verlauf dieser Katastrophe: Über den Sprung in die Illegalität und die Anwendung von Gewalt findet der eigentliche Radikalisierungsprozess statt. Die Hilflosigkeit einer Gesellschaft zeigt sich hier auch in der Staatsmacht, die mit Gefängnis bestraft, Isolationshaft verordnet und jede Kommunikation verhindert. Was als Idee einer gesellschaftlichen Neuordnung mit friedlichem Protest begann, wird zu einem Widerstand mit Gewalt auf beiden Seiten und endet mit der Beschädigung des Rechtstaates und dem Selbstmord hochbegabter Menschen.
Die Installation ist auch an anderen Orten und in anderen Kontexten realisierbar.

BW

Ideology Odense

2016     8 × 5 × 4 m      Gummibänder, Kordel, Folie und Gouache
Kunsthallen Brandts, Odense

      Ideology Full Mix

Ich wählte als Oberbegriffe bzw. als Motto: Idee – Ideologie; dies wird ergänzt durch zahlreiche historische und persönliche Stichworte, Aktionen und Reaktionen aus dem Leben Ensslins. Die Worte stehen an der Wand, jeweils am Ansatz eines roten Fadens, der aus der Wand zu dringen scheint und zu einem anderen Begriff hinübergespannt ist. In der mal feinen, mal groben Verspannung entsteht ein hierarchisches System, zusammengesetzt aus Fakten und Fiktionen, Ereignissen und Erfahrungen.
Die stärkste Verbindung, ein roter Strick, zeigt den Anfang eine Idee, die in einer Verknotung endet, die kaum mehr zu lösen ist. Dann liest der Besucher sukzessiv von einem Wort zum anderen und erschließt sich exemplarisch die Biographie einer Person in einer politisch ideologisierten Zeit, die in den 1970er-Jahren große Teile der deutschen aber auch europäischen Gesellschaft prägten sollte. Biographisches und Historisches sind in meiner Installation „Brain Box (Ideology)“ eng miteinander verbunden.
Eine Klangcollage, die die Künstlerin frei nach Helmut Lachenmanns Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ erstellt hat, ergänzt die Raumverspannung.

Die Radikalisierung und spätere Gewaltbereitschaft des RAF-Terrorismus ist selbstverständlich abzulehnen, doch die Auflehnung der damaligen Protagonisten und Protagonistinnen gegen die Unterwanderung deutscher Staatsmacht durch ehemalige Nationalsozialisten, gegen die sogenannten Notstandsgesetze oder den Wahnsinn des Vietnam-Krieges war und ist auch für viele Nachgeborene durchaus nachvollziehbar.
Und Andersens Märchen von 1845 hat heute, in der europäischen, ja geradezu globalen Flüchtlingskrise eine Aktualität, die das Stück gleich doppelt traurig macht. Niemand hat sich um das Mädchen in der kalten Winternacht gekümmert, die draußen frierend Streichhölzer verkaufen wollte – und sich nicht mehr nach Hause traute, da sie ein Streichholz nach dem anderen abbrannte, um sich zu wärmen. Andersen verband damals mit diesem Einzelschicksal auch eine bittere Anklage gegen die fehlende Empathie und den Konsum der vorbeieilenden Wohlhabenden, die das Kind schlicht übersehen haben.
Beide Geschichten enden tragisch, beide „Mädchen“ scheitern an der Kälte einer bürgerlichen Gesellschaft. In „Brain Box (Ideology)“ befinden sich zwei rote fünfzackige Sterne auf dem Boden des Ausstellungsraumes: Der eine innerhalb der Verspannung, also gewissermaßen in der Biographie Ensslins, wird zum RAF Symbol, während der andere, ganz allein im Raum, ohne weitere Begriffe an der Wand, für das namenlose Mädchen steht, dem kein längeres Leben, keine Erfahrungen und Erlebnisse und kein Widerstand vergönnt war.
Wenn ein Stern von Himmel fällt, steigt eine Seele zu Gott empor, heißt es im Märchen. Allein die roten Bänder, die an dieser Stelle vom Stern ausgehen und sich zur Raumdecke ziehen, symbolisieren den am Märchenende so traurig-schön formulierten Fieberwahn des Mädchens – bevor sie stirbt – gemeinsam mit der Großmutter in die Höhe, zu Gott, zu fliegen

Ich versuche in der Installation die Frage zu untersuchen, wann und wie sich eine Idee zur Ideologie, zu einem Gedankensystem entwickelt und wie sich die dahinterstehende Radikalisierung vollzieht auch als Reaktion auf die Gleichgültigkeit einer Gesellschaft.
Eine vergleichbar radikale Form der Musik untermalt und ergänzt die raumbezogene Arbeit inklusive des konkreten Odense-Ortsbezugs durch Hans Christian Andersens „Mädchen mit den Schwefelhölzern“.
Einzelnen Textzeilen aus Andersens Märchen führen uns zu der komplexen, zweiteiligen Arbeit im ersten Stock des Museumsgebäudes, die auf den Vorderseiten der Treppenstufen platziert sind. Beim Hochsteigen erschließt sich der Besucher langsam, Schritt für Schritt den Kontext der dort folgenden Ausstellung.

BW