Antichrist, 2010
Das Ecktriptychon bedient sich zweier Quellen: Friedrich Nietzsches Originaltext „Antichrist“ (1889) und Lars von Triers gleichnamigen Kinofilm „Antichrist“ (2009).
Bei Trier zieht sich ein namenloses Ehepaar, nach dem Tod ihres Kindes in die Wälder, in eine Hütte namens Eden zurück. Nicht nur hier wird die Anspielung auf ein religiöses Referenzsystem deutlich. An diesem Ort therapiert der Mann seine eigene Frau, um sie mit ihrer größten Angst zu konfrontieren (He: Where are you afraid? What would be the worst place? She: The woods)
Hat sich Lars von Trier mit dem Titel „Antichrist“ bewusst auf Nietzsches gleichnamigen Text bezogen? Interessant ist der kleine Kunstgriff, indem das „T“ im Titel „Antichrist“ durch das Zeichen für Weiblichkeit ersetzt wird.
Wer ist der „Antichrist“ bei Nietzsche? Vielleicht Jesus, vielleicht der Autor selbst? Oder ein neuer Typus Mensch, der sich unabhängig gemacht hat von den Moralvorstellungen der christlich-abendländischen Tradition. Für Trier hingegen scheint es die Frau in seinem Film zu sein – oder grundsätzlich das weibliche Prinzip. Allerdings produziert das Denken der weiblichen Hauptfigur in erster Linie Zweifel bei sich selbst, denn die Ordnung der äußeren Welt ist nicht deckungsgleich mit der Ordnung ihrer inneren Welt.
Verängstigt und verwundet ist die Frau und damit befinden wir uns im Rollenstereotyp des Horrorfilms, aber dann erweitert Lars von Trier dieses Genre und setzt die Natur visuell mit der Frau in Beziehung.
Was auf diesem Weg der Ablösung und Selbstauflösung passiert oder passieren könnte, ist nicht darstellbar. Nebulöse Wortfetzen treiben durch den dunklen Wald. Was im Bild in teils lesbaren, teils unleserlichen Nebelschwaden vorüberzieht, sind Zitate aus dem Spätwerk Nietzsches. Mit der dunkelroten Schrift zitiere ich Passagen aus Nietzsches „Antichrist“, die hellroten Passagen stammen aus seiner „Götzendämmerung“. Diese Spätschrift gehört zu den populärsten Büchern des deutschen Philosophen, wo seine Hauptthesen kurz und prägnant zusammengefasst sind.
Besonders betont in den hellroten Textpassagen der mittleren Bildtafel sind die Worte, die Nietzsche als Voraussetzungen jeder künstlerischer Produktion setzt, nämlich die unterschiedlichen Formen des Rausches.
Nietzsches Text endet wie das Bild mit der „Umwertung aller Werte“ – als Aussage und Zitat. Schriftwolken brechen die blutrote Naturkulisse auf. In dem ersten Bildtteil scheint der Mann die Frau noch zu halten, während sie sich im dritten und letzten Teil losgelöst hat von Ordnung und Naturkulisse – kurz bevor der Film bzw. das Bild uns entlässt in ein Gefühlschaos , das einer Neuordnung vorangehen könnte: Die Umwertung aller Werte.
BW
Antichrist (Triptychon), 2010
Gouache, Pigmentstift auf Bütten
195 × 420 cm
Must Museum Stavanger, Norwegen