Roland Nachtigäller
Instinct – Black Box
Die Spannung menschlicher Verhaltens- und Gefühlsdynamik greift Brigitte Waldach auch in ihrem Zeichnungsraum „Instinct – Black Box“ auf und inszeniert sie als visuelles Allover, das sich in der konkreten Interaktion zwischen Galerie und Besucher in den sozialen Raum verlängert. 130 Zeichnungen hat sie in ein vierreihiges Wandraster gehängt, das mit wenig Abstand vom schwarzen Teppichboden bis zur Decke des vollkommen schwarz gestrichenen Kabinetts reicht.
Nun steht man in akustisch gedämpften Atmosphäre und findet sich allein mit einem einzigen Gegenüber in Person der zeichnenden Künstlerin – die Worte haben sich fast vollständig zurückgezogen und den Bildern das Feld überlassen. Zu sehen sind traumartige Miniaturen, Menschen mit verlängerten Gliedmaßen oder seltsamen Körpererweiterungen, gesichtslose Porträts und in schematische Strichzeichnungen übersetzte Affekten, ausschnitthafte Gesten oder blitzlichtartig aufleuchtende Szenen zwischen Absurdität, Slapstick und Beklemmung. Immer wieder baut sich die innere Spannung dieser Zeichnungen aus dem Kontrast zwischen feinen, schnellen, fast ein wenig verhuschten Strichsetzungen und den festen dunklen Flächen auf, die zumeist einzelne Körperteile scharf konturiert, aber ohne räumliche Modellierung herausarbeiten. Brigitte Waldach breitet hier eine Art visuelles Tagebuch aus, das Protokoll einer neu zurückeroberten Lust am freien Zeichnen, an der Unmittelbarkeit des bildlichen Ausdrucks, der das Band zwischen Hand und Auge möglichst freizuhalten sucht von intellektueller Kontrolle. Aphorismenartige Szenerien reihen sich dich an dicht, finden zu temporären Nachbarschaften, bilden Rhythmen, nehmen Erzählfäden auf und verlieren sich gleich wieder im Ungefähren individueller Assoziationsströme.
Auch physisch ist hier mehr im Fluss, als es auf den ersten Blick scheint. Denn die wenigen schwarzen Felder auf den vier ansonsten vollständig bedeckten Wänden nehmen im Lauf der Ausstellungzeit allmählich zu: Wer sich für die Zeichnungen interessiert und spontan eine oder mehrere erwerben möchte, kann dies unmittelbar tun und die Werke sogleich mitnehmen. Auf diese Weise reduziert sich der überbordende Bilderkosmos immer weiter, die geschlossene Hängung und ihre inneren Bezüge werden löchriger und finden ein zeichnerisches Äquivalent in den Graphitskizzen selbst: Auch in Waldachs Zeichnungen gibt es diese Leerstellen, blinde Flecken, fehlende Darstellungselemente, die Figuren und Situationen verschließen und zugleich für den Blick des Betrachters öffnen. Denn die Abwesenheit von differenzierter Darstellung ist nicht gleichbedeutend mit Mangel. Vielleicht findet sich irgendwann auch ein Besucher plötzlich allein mit nur noch einer Zeichnung im Raum und sieht möglicherweise wesentlich mehr als die Eröffnungsgäste. Entschließt er sich gar zum Erwerb des letzten Blattes, so bleibt allein die Black-Box zurück, eine schwarze Leere, die Alles ist – ein Echoraum zur Vielstimmigkeit des zuvor Gesehenen.
Roland Nachtigäller