Existenz

2018:
Raumzeichnung mit 1 Kanal Sound:
Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück:
      Existenz Felix Nussbaum

Zentrum der Existenz, das „Gehirn“ des Raumes, ist der verzerrte Kubus, aus dessen Fenster es rot herausleuchtet. Aus dem Inneren dringen männliche Stimmen zu uns. Wir hören Auszüge aus den Briefen Felix Nussbaums. Geflüstert und gesprochen überlagern sich die Textzitate, ehe sie geordnet auf den Wänden des Raumes der Gegenwart einzeln gelesen werden können, zu einer Soundcollage, die das Entstehen von Gedanken akustisch erfahrbar werden lässt.

An einer Wand des „Gehirns“ ist in der Mitte ein uraltes Symbol zu sehen, der Davidstern: Symbol Israels und des jüdischen Glaubens, aber auch Sinnbild der Durchdringung von Geist (hier weiß verspannt) und Materie (hier schwarz verspannt) – von sichtbarer und unsichtbarer Welt –, die erst in ihrem Zusammenkommen eine Ganzheit bilden. Ausgehend von diesem Zeichen dynamisiert sich der Ausstellungsort und fügt dem Raum der Gegenwart eine weitere Dimension hinzu. Mitgeführt wird sowohl in der schwarzen als auch in der weißen Verspannung jeweils ein roter Faden, die Lebenslinie des Künstlers Felix Nussbaum. Diese Lebenslinie zeichnet abstrakt und konkret den Verlauf eines Lebens nach, das exemplarisch das Schicksal eines Menschen verkörpert, der als Künstler gelebt hat und als Jude verfolgt wurde.

Im vorderen Bereich des Raumes der Gegenwart bleibt die rote Linie an die Person gebunden, sie verbindet die Lebensdaten Felix Nussbaums, die auf den Wänden des „Gehirns“ sichtbar werden. Im hinteren Teil, ausgehend vom Davidstern, der auf die ehemalige Synagoge von Osnabrück ausgerichtet ist, weitet sich das Bezugssystem, es wird abstrakter und zeigt, wie Geist und Materie getrennt und wieder zusammengeführt werden. Es ist eine universelle Analyse, eine Wendung, die aber immer das Individuelle mitführt, symbolisiert durch den roten Faden, der schließich alles zusammenfügt im unendlichen Kreislauf des Entstehens und Vergehens. Zwischen Geburt und Tod erleben wir Situationen des Aufbruchs, der Trennung, der Isolation, des Zweifels und immer auch existenzielle Angst.

Der Architekt Daniel Liebeskind über EXISTENZ

Brigitte Waldachs Installation Existenz im Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück ist wahrhaft inspirierend. Ihre Technik, mit im Raum verspannten Fäden Bildprojektionen zu erzeugen, ist visuell verblüffend, regt die Betrachterinnen und Betrachter aber gleichwohl zum Nachdenken an. Sie behandelt die Architektur als eine Welt, die von Kräften durchdrungen werden kann, die weit über das Gebäude hinausreichen, und schafft ein eigenes Licht-und-Schatten-Spiel, mit dem sie die Lichtundurchlässigkeit der Wände ausleuchtet. Der entstehende Effekt ist bewegend, denn jede einzelne Linie wird zum Vektor, dessen Ursprung zwar unbekannt ist, dessen Ziel wir aber klar erfassen können. Gleichzeitig korrodiert die verflachte Welt selbst die Untergründe, auf die sie fällt, und streckt ihre Kraft in Richtung einer Zukunft aus, die ebenso obskur ist wie die Vergangenheit unveränderlich. Brigitte Waldach hat eine eindrückliche und originelle Arbeit kreiert, die dem Werk von Felix Nussbaum auf unerwartete Weise neues Leben schenkt – in einem Museum, das ihm gewidmet ist.

Radiobeitrag von Fritzi Blömer

      Existenz - Bloemer/Petzoldt